Teil 27
Chaos im Kopf
Hallo euch allen, ein paar Wochen haben wir uns nicht gesehen, obwohl ich oft an euch gedacht hab.
Ich hab an euch gedacht und an ungefähr 1000 andere Dinge und da liegt das Dilemma.
Aber von vorne.
Wir sind umgezogen.
Vor ein paar Monaten haben wir uns entschieden, Arbeitsintensitäts- und Finanzballast abzuwerfen und das Haus wieder zu verlassen, in dem wir dankbar die letzten vier Jahre geteilt haben.
Es war kein leichter Schritt aber am Ende fühlt er sich richtig und entlastend an. Ich spüre immer mehr den Wunsch nach Verkleinerung, nach Konzentration auf das Wesentliche, das, was wir wirklich brauchen..nicht was man ansammeln kann.
Ihr kennt das sicher…hast du einen Keller, kommst du klar, hast du fünf, auch.
Man sammelt einfach lauter Zeugs, ist das eigentlich eine menschliche Eigenart?
Sind wir alle am Ende Jäger und Sammler?
So ein Umzug zwingt uns, jedes Ding einmal in die Hand zu nehmen und sich zu fragen, „brauche ich das wirklich?“ oder „kann das wer anders gebrauchen“ oder „braucht das eigentlich kein Mensch mehr???“.
Ich verrate euch was, es gab eine Menge Zeug, dass andere gebrauchen können und eine noch größere Menge, die kein Mensch braucht. Übrig blieb eine kleine aber feine Auswahl an Zeug, das ich wirklich nicht missen möchte, oder der Mann, oder eins der Kinder…naja, Kompromisse halt.
Meine Überzeugung, irgendwann in einem Tinyhouse mit dem wirklich Nötigen zu leben, hat sich weiter gefestigt. Oder eben in unserem Bus, wobei so eine kleine aber feine Base mit Ofen wäre schon schön.
So ein Umzug wirbelt also auf, was wir alles besitzen, den Dreck in den Ecken und - das hab ich festgestellt - auch allerhand in mir.
Erinnerungen wurden wach, die Familie rückte wieder einmal zusammen. Unsere Kinder waren unverzichtbar, sie schleppten, sortierten, malerten, fanden uralte Fotos und die dazu passenden Geschichten.
Was wären wir ohne euch?
Der Umzug hatte zwei Erkenntnisse für mich im Gepäck, oder besser im Karton.
Erstens, meine Familie ist Pech und Schwefel. Sie sind da. Punkt.
Alle anderen Menschen stecken in eigenen Leben und Verpflichtungen, manchmal können sie helfen, manchmal nicht. Das ist ok.
Die zweite Erkenntnis fühlt sich ein bisschen nach kaltem Waschlappen im Gesicht an.
Ich habe zwar mehr geschafft, als ich zum Teil erwartet hätte, aber am Ende bin ich mit Pauken und Trompeten in die Knie gegangen. Ja, Corona hatte auch seine Finger im Spiel aber ich musste auch annehmen, dass das Durcheinander im Außen mein mühselig zusammen gehaltenes Kartenhaus im Innen zusammen gepustet hat.
Einfach immer weiter machen wie früher. Nö.
Einmal schütteln und gut. Nö.
Ne Tablette und dann geht's weiter. Nö.
Meine Fatiguebirne ist seit Monaten im Ausnahmezustand.
Mein „safespace“, wie man heute so sagt, der Ort, an dem alles seinen Platz hat, aufgelöst.
Mein Kopf und die Anforderungen meines Lebens, das ist ein fragiles Geschäft.
Wenn dann noch 1000 Sachen dazu kommen, die ich denken muss, wie, „wo ist eigentlich der Brief von der Schornsteinfegerin?“ oder „hab ich die Schuhe für die Klassenfahrt schon eingepackt ?“ und und…dann geht irgendwann nix mehr.
Fatigueexpert:innen nennen das einen „Crash“. Ich kann mit dem Wort wenig anfangen, klingt nach Börse, nicht nach meinem Leben.
Ich nenne das „Loch“.
In dem sitze ich jetzt, so hatte Corona ewig die Chance, in meinem Körper hocken zu bleiben und ich fühle mich trotz endlich negativem Test immer noch krank, müde und schwer.
Ich sitze in meinem neuen Zuhause und kann mich noch gar nicht richtig freuen, weil schon das so anstrengend ist.
Und dann ist da ja noch die Nachsorge, die ansteht und das neue MRT wegen meines entzündeten Rückenmarks, wieder Fragezeichen und zuviel Gedanken Knäule in meinem Kopf.
Aber für alle, die grade ebenfalls in ihren Löchern sitzen, mal ehrlich..wir wissen doch auch, dass es wieder besser wird.
Lasst uns das nicht vergessen.
In ein paar Tagen oder Wochen werden die Schultern wieder leichter sein, wir werden uns wieder kräftiger fühlen und dankbar sein, dass wir auch dieses Mal nicht aufgegeben haben. Allein oder mit unseren Partner:innen, unseren Kindern oder Freund:innen.
Und nicht zuletzt durch die gemeinsame Sache.
Selbsthilfe ist nämlich genau das. Der Austausch und das Engagement mit anderen hilft mir am Ende, es selbst zu tun, mir selbst zu helfen.
Mir hilft es, hier zu schreiben, euch vielleicht, hier zu lesen.
Und so machen wir immer weiter, denn - Überraschung - ,es lohnt sich!!
Für jede alte Geschichte, die aus dem Karton purzelt.
Für jede neue und alte Begegnung.
Für die Liebe, ich wünsche jedem von euch dieses Gefühl, dass ich habe, wenn ich meinen Mann und meine Lieben sehe…
Und nicht zuletzt für jedes neue Abenteuer.
Wir sehen uns in Stuttgart beim großen Treffen im Barcamp von Melanominfo Deutschland.
Vielleicht habt ihr dort Lust, mit mir zu schreiben?!
Ich lade euch ein.
Auf ein leeres Blatt, einen Stift und den Fluss der Gedanken.
Und auf das tolle Gefühl danach.
Bis dahin, eure Katrin
Liebe Katrin,
danke dir für diese tollen Zeilen - in denen ich mich wiederfinden dürfte.
In den letzten Monaten beschäftigte mich auch mein Umzug, dass loslassen von Dingen aber vor allem den dazugehörigen Emotionen. In solchen Lebensabschnitten muss man sich noch neu sortieren, welche Unterstützung kann man annehmen, welche Unterstützung hat man früher immer Angeboten bekommen, diese jedoch nicht mehr unter uns lebt. Und wie schafft man die Fatigu nicht einen zu großen Schatten über die Freude des Neuen werfen zu lassen.
Die Balance zwischen dem Alten loszulassen und das Neue freudige in einen neuen Lebensabschnitt reinzulassen fühlt sich nicht immer leicht an - obwohl es doch eigentlich ein Luxusproblem ist.
Wie du merkst wurde, durch deinen Text, so einiges…
Liebe Katrin, danke, dass du uns teilhaben lässt an deinem Leben, deinen Gedanken und an deinen Empfindungen. Oft erkenne ich mich wieder und das tut gut, zu lesen, dass es anderen, dass es dir auch so geht, ich fühle mich verstanden.
Ich wünsche euch alles Gute für das Ankommen in eurem neuen Zuhause und natürlich für dich,
Silke B.