Teil 12
Weltkrebstag, der 2.!
Was sagt man da? Herzlichen Glückwunsch, sie gehören dazu und leben noch?!
Eigentlich wollte ich gestern einen tollen neuen Blogbeitrag für euch raushauen...zum Weltkrebstag.
Hab ich aber nicht. Warum?
Weil mich nach Wochen ein ekelhaftes, bleischweres Fatigueloch erwischt hat.
Und zack, hab ich ein neues Thema...
Fatigue.
Ich habe entschieden, ich schreibe euch ein bisschen über diese nicht wirklich greifbare und für alle nicht betroffenen so schwammige Diagnose.
Vielleicht kann ich dem ein oder anderen auf diesem Wege helfen, seinen Symptomen einen Namen und damit einen Umgang mit dieser Erkrankung zu geben.
Ich glaube heute, meine Fatigue begann schon vor meiner Krebsdiagnose, denn ich bin ja schon eine ganze Weile mit diesem Dings am Bein durch die Welt marschiert. Marschiert trifft es übrigens ziemlich genau. Als Mama von nem liebenswerten Haufen, Erzieherin und ansprechbar für alles und jeden marschierte ich im Stechschritt durch mein Leben. Bloß nicht anhalten. Ich hatte Zuviel Angst, dann nicht mehr hoch zu kommen.
Seit einiger Zeit fiel mir dieses "Durchhalten" unfassbar schwer. Ich hatte ständig Kopfschmerzen, Schwindel und das Gefühl, im Stehen einzuschlafen, egal, wie gut ich - trotz Kindern- nachts geschlafen hatte.
Morgens aus dem Bett zu kommen, war eine Qual.
Als ich an diesem Tag im März 2020 mit runtergelassener Buxe das Wort "Krebs" hörte, fuhr es mir im ersten Moment in die Glieder.
Und im nächsten Moment dachte ich:" Endlich Ruhe!"
Was für ein Wahnsinn, ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, anhalten zu dürfen.
In meiner ersten Reha in Bad Oexen hörte ich zum ersten Mal von Fatigue.
Ich saß in einem Vortrag und mir liefen die Tränen. All die Symptome der letzten Wochen, die ich während meiner Akutbehandlung gespürt hatte, hatten einen Namen. Die Schwäche, mich nicht konzentrieren können, die Schwere, Wortfindungsstörungen, totale Überforderung bei vielen Sinneseindrücken und und und... ich war nicht bekloppt, nicht depressiv und Alzheimer war auch nicht im Anmarsch.
Ich hatte einfach eine Erkrankung, die auf meinen Krebs zurück zu führen war. Übrigens muss man keine Chemotherapie bekommen haben, um an Fatigue zu erkranken. Auch das Tumorgeschehen kann das bereits auslösen. Deshalb finde ich Ausdrücke wie "Chemobrain" sehr verwirrend, sie gaben mir das Gefühl, gar keine Fatigue haben zu können und erst recht bekloppt zu sein.
Nur noch einmal zur Einordnung, Depressionen sind eine ernst zu nehmende Erkrankung, die ich nicht in eine falsche Ecke stellen möchte.. aber ich hatte eben keine! Und es war wichtig für mich, das auch ganz professionell in Oexen von Expert:Innen eingeordnet zu bekommen.
Nun hatte ich also einen Namen für diesen Zustand, trotzdem hatte ich keine Ahnung, was mich in den nächsten Monaten erwarten würde...
Ich kam aus der Reha zurück und ging zur Arbeit. Von Wiedereingliederung und ähnlichem hatte ich und auch meine kleine Elterninitiative noch nix gehört. Außerdem musste ich ja nur noch eine Woche in die Kita, danach hatte ich eh Urlaub.
Nach vier Tagen brach ich zusammen wie noch nie in meinem Leben.
Ich zog irgendwie meinen Dienst durch und weiss nicht mehr genau, wie die nächsten Tage genau waren..eine Wurzelbehandlung hatte ich auch noch und ansonsten kroch ich durch den Tag wie in Trance.
Ich ging zu meiner Hausärztin und diese sagte nur:" Sie werden jetzt ne ganze Weile ausfallen...sagen sie ihrem Team das, die sollen für Ersatz sorgen."
Ich bekam den ersten Vierwochen-Krankenschein meines Lebens und die ausdrückliche Empfehlung, in den Urlaub zu fahren.
Auf dieser Reise war ich irgendwie anwesend.. ich schaute viel aufs Meer, mein Mann kümmerte sich um Kinder, Hunde und das Camping-Tagesgeschäft.
Er hatte sicher die Hoffnung, dass nach dieser Auszeit alles wieder gut würde, so wie ich auch, aber so war es nicht.
Ich war fast ein Jahr krank geschrieben und fuhr dann in meine zweite Reha. Diesmal mit dem Ziel, mit der Fatigue zurecht zu kommen, sie anzunehmen und in mein Leben zu integrieren, für den Fall, dass sie bleiben sollte.
Diese Reha war sehr besonders für mich.
Nicht nur, weil ich auf ganz besondere Menschen traf, sondern auch, weil ich mich intensiv damit auseinander setzte, nie mehr zu sein, wie ich mal war.
Ich plante meine Widereingliederung und beackerte zugleich die Erkenntnis, immer noch etwas wert zu sein.
Das war vielleicht der schwierigste Teil... mein Leben lang hatte ich mich definiert über das, was ich leistete.
Meine Rolle war die der Powerfrau, die jeden Stein aus dem Weg schaufelt, und wenn es sein muss, auch ein ganzes Gebirge. Auf einmal stand ich auf meinem Weg und schaffte nicht mal mehr den Schritt über nen Kiesel.
Das war hart. Und es machte Angst.
Wie sollte es weitergehen?
Krankengeld ist endlich, Mieten wollen bezahlt werden und Kinder brauchen ihre Mutter.
In ein paar großartigen Sitzungen mit einem der Psychologen vor Ort dröselte ich den Knoten einmal auf.
Mir wurde klar, es geht immer weiter...auch wenn ich die Arbeit nicht mehr schaffe, wird es weitergehen.
Endlich kam die Zuversicht zurück und das Vertrauen in meine Kraft.
Ich fuhr nach Hause und fing wieder an, zu arbeiten. Mit einer ordentlichen Wiedereingliederung und reduzierter Stundenzahl.
Es funktionierte! Mit jedem Tag, den ich schaffte, kam mein Selbstwert zurück und die Lust, mir wieder Ziele zu stecken.
Ich würde gern mit diesen Mut machenden Zeilen schließen, aber das ist leider nicht das ganze Bild von chronischer Fatigue.
Leider gibts es dieses ABER...
Denn die Fatigue ist ein Arschloch.
Wochenlang kann es mir gut gehen und plötzlich kommt sie wieder aus der Ecke und reißt mich um.
Sie kündigt sich nur kurz an, wie eine Art Aura bei Migräne.
Mein Kopf fängt an zu schwirren wie ein Bienenschwarm, ich kann nicht mehr gut sehen.
Oft bekomme ich als erstes Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und ich habe ein deutliches Krankheitsgefühl.
Über meinen Körper legt sich eine Schicht wie Blei, ich fühle mich wie ein Püppchen in einem Kessel mit Schleimi, diesem Glibberzeug aus meiner Kindheit.
Manchmal hab ich Blitze im Blickfeld, viele Eindrücke um mich werden zu einer dröhnenden Masse. Meine Augen und Ohren können nicht mehr schnell genug hinterher. Einem Gespräch folgen unmöglich, meine Aussprache wird verwaschen.
Ich will nur noch ins Bett, in einen dunklen Raum und gleichzeitig bin ich total aufgewühlt.
Das Körpergefühl macht so hilflos und verzweifelt, ich möchte nur noch heulen...doch meist fehlt dafür die Kraft.
Mittlerweile dauern diese Löcher nur noch ein paar Tage, wenn ich Gelegenheit habe, für mich zu sorgen.
Trotzdem ziehe ich durch die nächsten Tage einen riesigen Kater...der hier und da Pflege braucht, sonst rutsche ich direkt ins nächste Loch.
Falls ihr euch jetzt wiederfindet in meinen Worten, möchte ich euch natürlich noch mitgeben, was ihr für euch tun könnt.
Als erstes, sucht euch einen guten Arzt oder eine gute Ärztin, der das Thema vertraut ist und die euch einen Krankenschein schreibt, wenn ihr ihn braucht. Ganz platt. Denn einfach weiter machen is nicht.
Bewegung hilft. Auch wenn man denkt, es geht gar nichts mehr, Spaziergänge können gut tun. Bei mir ging eine kleine Yogaeinheit oder eine Runde auf dem Fahrrad. Meine Hunde haben mich vor die Tür gezogen, das war hilfreich.
In meiner ganz akuten Phase nach der ersten Reha habe ich irgendwann meinen Schatten in die Ecke verwiesen und habe gering dosierte Tabletten gegen Depression genommen. Ich konnte in dieser Phase keine Nacht durchschlafen, eine grausame Kombination mit der bleiernen Müdigkeit. Die Tabletten halfen mir, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Ich nahm sie einige Monate, dann fühlte ich mich stark genug, wieder ohne auszukommen.
Ich kann jedem nur dazu raten, diese Möglichkeit mit in Betracht zu ziehen, wenn sie euch vorgeschlagen wird.
Man kann in der ersten Zeit ein Energietagebuch schreiben, um heraus zu finden, welche Struktur im Tag Sinn macht. Eine Reha kann auch nach einer Weile noch einmal eine Option sein, man kann mit guten Gründen oftmals mit Erfolg einen weiteren Antrag stellen.
Aus meiner Erfahrung kann ich die Klinik in Bad Oexen sehr empfehlen, dort hat man sich das Thema Fatigue auf die Fahnen geschrieben. Sicher gibt es weitere Kliniken, die das Thema aufgreifen, ich würde nach Erfahrungen von Betroffenen fragen.
Beratung findet ihr bei den Krebsberatungsstellen eurer Stadt oder in Selbsthilfegruppen wie unserer :"Diagnose Hautkrebs- wir lassen dich nicht allein".
Und zum guten Schluß!
An alle Angehörigen, Freunde, Wegbegleiter und sonstige Menschen aus dem Umfeld Betroffener....
Nein, es liegt nicht am Wetter.
Wir sind nicht so müde wie ihr, weil uns die Sonne fehlt.
Es ist nicht der "ganz normale Wahnsinn".
Es ist Fatigue.
Und die ist wie nichts, das ihr kennt.
Deshalb bleibt dran, fragt, was eure Liebsten brauchen, nehmt sie in den Arm, kocht Tee und macht den Ofen warm.
Ihr könnt sie uns nicht abnehmen, die Löcher, aber ihr könnt uns das Gefühl geben, damit nicht allein zu sein.
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